Einen Tag vor der OP habe ich noch eine Diskussion im Fernsehen verfolgt, wo über ein Leben nach dem Tod und der Existenz der Hölle diskutiert wurde. Für mich ist jetzt nicht der Zeitpunkt mich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Alles was ich sagen kann, dass ich in all den schwierigen Situation nie einen straffenden Gott erlebt habe. Ganz im Gegenteil – er hat mir geholfen den schweren Weg zu gehen. Das was man als Hölle bezeichnen kann, finden wir sicher auf der Erde. Ich möchte kurz schreiben wie ich den Weg durch meine Hölle erlebt habe.
Eigentlich ist die OP nicht schlimm – man verschläft sie ja. Also habe ich der Operation relativ entspannt auf mich zukommen lassen. Montag, 7 Uhr – duschen; dann Infusionen und eine Entspannungstablette. Halb Acht – Abfahrt in den Einschlaf/Aufwachraum bei den OPs. Vier Personen warten gemeinsam auf die OP – der Narkosearzt holt die letzten Infos ein und die Nervosität steigt. Da ich am Rand des Zimmers lag, konnte ich ein Bild sehen – schönes, sattes grünes Gras. Das wirkte sehr beruhigend auf mich.
Das Pflegepersonal unterhält sich einstweilen über den Holzpreis. Einer beschwert sich, dass er heuer nur für Verwandte Holz hatte – ein schlechtes Geschäft… Man merkt, dass das Leben normal weiterläuft. Eigentlich ein Gutes Gefühl auch wenn mal selber gerade andere Gedanken hat.
Dann die Abfahrt – OP Nummer 2. Umlagern auf den OP Tisch, Verkabeln und Warten. Und plötzlich …. good sleep…… Eigentliche ein Wunder das man am der Schmerzzentrale Hirn herumschneiden kann, ohne Schmerzen zu spüren.
Die nächste Wahrnehmung war, als ich auf der Intensivstation aufwachte und Johanna sah. Ein wunderbares Gefühl – ich hatte also überlebt – was aber schnell durch die starke Übelkeit und die Schmerzen der Kopfwunde überlagert wurde. Weiters habe ich noch realisiert dass ich die Arme ganz normal spüre und bewegen kann und dass das Schlucken funktioniert. Mit dieser Gewissheit gönnte ich mir weitere fünf Stunden Schlaf.
Um 23 Uhr sollte dann eine sehr schwierige Zeit für mich beginnen. Ich wurde wach und sah das Gesicht des Pflegers. Er lächelte mich sehr freundlich an; es war ein warmer Empfang. Meine Reaktion war wohl nicht angemessen – ich musste mich sofort wieder übergeben. Er reinigte mich, sagte mir dass es 23 Uhr ist und das ich etwas schlafen solle.
Nun lag ich also in eine Koje der Intensivstation, meine Lebensfunktionen ständig überwacht und rund um mich weitere Patienten. Es schien eine ruhige Nacht ohne Zwischenfall zu werden, denn bis auf die Apparate war lag kein Geräusch in der Luft.
Ich schloss die Augen und wollte einschlafen. Da bemerkte ich, dass an meinen Augen verschiedene Bilder vorbeizogen. Zuerst rote Wellen, dann grüne Wolken gefolgt von weißen Bäumen. Diese Bilder wiederholten sich immer wieder und sie wechselten sehr schnell – schneller als mein Zeitgefühl. Bei diesem Tempo fühlte man auch nichts zu den Bildern. Sie zogen einfach vorbei und man kann nur hilflos dabei zuschauen. Bei geschlossenen Augen wirkten diese Bilder heller, bei offenen Augen waren Sie etwas dunkler. Aber sie waren immer da…..
So lies ich diese Bilder über mich ergehen, versuchte zu entspannen und etwas runter zu kommen. Phasenweise konnte ich etwas abschalten, manchmal quälten mich diese Bilder aber so, dass ich mich wieder übergeben musste. Mittlerweile übergab ich mich öfters, da diese momentan die einzige Reaktion am Körper war, die ich WIRKLICH wahrnahm und diese sich echt anfühlte.
Durch das hohe Tempo der Bilder hatte ich mein Zeitgefühl verloren. Einmal dachte ich, es werde jetzt 14 Uhr sein und der erste Besuche wird sich jetzt auf den Weg zu mir machen. Wie ich dann vom Pfleger erfuhr, war es erst halb zwei in der Nacht. Es waren gerade drei Stunden vergangen und mindesten fünf liegen noch vor mir.
Um zwei Uhr nachts – ich war kurz von der Verzweiflung – bemerkte ich plötzlich, dass es beim Schließen der Augen endliche etwas dunkler wurde! Dann schaffte ich es wirklich, so ca. 10 Minuten in einen Halbschlaf einzutauchen. Leider war dieser dann auch schnell wieder vorbei, doch diese Minuten haben mir viel Kraft gegeben ohne die ich die Nacht wohl schwer überstanden hätte.
Die Zeit bis sechs Uhr früh dauerte noch eine Ewigkeit. Dann kehrte endliche etwas Leben in der Station ein. Diese Ablenkung war sehr gut. Ich konnte die Ruhe und diese Bilder kaum mehr ertragen. Mir wurde mitgeteilt, dass ich auf die Normalstation verlegt werde. Welche Freude – eine weitere Ewigkeit später – um 10 Uhr wurde ich auf die Station verlegt. Das Schlimmste sollte nun hinter mir liegen.
Auch auf der Normalstation war die Zeit schwierig. Trotz kleineren Ablenkungen rannten die Bilder weiter, ständig musste ich mich übergeben und die Zeit wollte auch nicht vergehen. An Schlafen war leider auch nicht zu denken.
Um 19 Uhr am Abend hörte ich vom Fernseher meines Bettnachbarn, dass die OÖ Nachrichten gerade beginnen. Etwas später dachte ich mir – es würde jetzt halb acht sein und die ZIP würde beginnen. Als ich aber dann aus dem entfernten Fernseher hörte, dass bei den OÖ gerade mal eine Schlagzeile vorgelesen war!!!, musste ich was unternehmen.
Ich beschloss also selbst den Fernseher zu starten, damit mein Schnellfilm endlich stoppen konnte und das Zeitgefühl wieder zurückkehrt. Ich hatte das Fernsehbild noch gar nicht beachtet und mir nur den Kopfhörer an mein Ohr gelegt…. doch das war leider schon zuviel. Ich hatte sofort ein Reizüberflutung und musste mich sofort wieder übergeben.
Der Plan mit dem Fernseher war also gescheitert. Nun lag ich im Bett und versuchte noch irgendwie zu entspannen. Um 21 Uhr übergab ich mich zum letzten Mal und um 23 Uhr — ENDLICH – spürte ich, dass ich ruhiger werde. Endlich verdunkelt sich das Bild wieder, wenn ich die Augen schließe. Eine Stunde später konnte ich dann einschlaffen – nach über 24 Stunden……
Ich war in diesen Stunden oft der Verzweiflung nah – geblieben ist mir aber immer die Hoffnung. Ohne die hätte ich diesen Weg nicht überstanden.
Ganz Liebe Grüße aus Linz
Markus
